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Veröffentlichtes und Nichtveröffentlichtes über und aus Körbecke
Die Holzgerechtsame - oder der verlorene Prozeß von Kurt Bremer In seiner Chronik "von und für Cörbecke" sowie in anderen hinterlassenen Unterlagen hat mein Urgroßvater Clemens Bremer (1835 -1917) über einen Prozess berichtet, der sich über 180 Jahre hinzog und in dem er selbst in der Schlussphase die Gemeinde Körbecke vertreten hat. Dieser Bericht enthält sowohl Fakten aus seinen Aufzeichnungen als auch Wertungen von ihm zu einzelnen Sachverhalten und Situationen. Im 17. Jahrhundert klagten die Dorfschaften Daseburg, Rösebeck, Körbecke, Bühne, Manrode und Muddenhagen, welche die Herrschaft Desenberg bildeten, gegen die Gevetter von Spiegel auf freie Brennholzlieferungen aus deren Waldungen. Diese lagen in der Hauptsache in einem großen Halbkreis hinter Bühne, aber auch das Braunsholz bei Körbecke gehörte dazu. Im Jahre 1686 erging in der Sache ein erstes Urteil oder eine Erkenntnis, wie es damals hieß, der fürstbischöflichen Paderborner Regierung, welchem in den Jahren 1701 und 1708 Urteile des Reichskammergerichtes folgten. Hierin wurde den obigen Spiegelschen Dorfschaften übereinstimmend das Recht freien Brennholzbezuges aus den von Spiegelschen Waldungen mit der Aussage "wie von Alters her und in Conformität hierbevor gewesenen Gebrauchs" zugesprochen. Weitere Urteile ergingen in den Jahren 1775 und 1780 - alle in obigem Sinne. Diese Ausdrücke und Wendungen ließen keinen Zweifel daran, dass der Brennholzbezug ein althergebrachtes Recht war. Im Jahre 1790 überredeten von Spiegelsche Beamte die Einwohner von Körbecke als letztes von 5 Dörfern zu einem Vergleiche. Alle Dörfer hatten bis dahin trotz gegenteiliger Urteile noch kein Stück Holz erhalten. Es bestanden also, auch wenn die Zeit vor 1686 - dem ersten Urteil - unberücksichtigt blieb, mehr als 100-jährige Restforderungen. Später ist von Seiten derer von Spiegel aus ihren Renteiregistern nachgewiesen worden, dass Körbecke für den Vergleichsverzicht auf die Holzgerechtsame folgenden Nachlass erhalten hatte: 1. 1 Thaler 12 Mariengroschen an Hofgeld und Schillingen 2. 14 1/2 Stück Hahnen und 290 Stück Eier 3. 15 Thaler und 22 Mariengroschen Dienstgeld Demnach hatte der Jahresnachlass einen Wert von wenig über 20 Thaler. So bezeichnete Clemens Bremer den Vergleich bei einer Gegenüberstellung der bestehenden Restforderungen und künftiger Forderungen mit dem eingeräumten Nachlass als ein schreiendes Unrecht, für dass er eine Erklärung darin zu finden glaubte, dass "die Berechtigten, die stets gewonnen, und nie etwas empfangen hatten, bei damaligen Rechtszuständen und unzulänglicher Executivgewalt die Hoffnung verloren hatten, jemals in den Genuss ihrer Berechtigung zu gelangen. Von den Vorvätern seien 3 Generationen ins Grab gesunken, seit ihnen ihr Recht zugesprochen war, aber erhalten hätten sie nichts. An einer Stelle hätten sie erklärt: „dass sie wegen vielfach gehabten großen Schadens, gepfändeten Kühen, Mobiliar und sonstigen Kosten sich endlich zu schwach und incapabel fühlten und sich auf einen Vergleich einlassen wollten". Dies wird verständlich, wenn man aus den Aufzeichnungen von Cl. Bremer an anderer Stelle liest, dass in Körbecke eine einzige Kuh im Keller eines Hauses in der hohlen Weide über den 7-jährigen Krieg (1756-1763) habe gerettet werden können. Ausschnitt aus Karte Kreis Warburg 1830 - Herrschaft Desenberg Einen weiteren Grund für den Vergleich sah Clemens Bremer darin, dass die Bewohner von Körbecke zu denen von Spiegel in mehrfacher Beziehung in einem außerordentlichen Abhängigkeitsverhältnis standen. Nicht nur waren sie denselben abgabepflichtig, sie mussten ihnen auch Frohndienste leisten und bedurften zu Vererbungen und Veräußerungen ihrer Genehmigung. Als Abgaben, welche unsere Vorfahren denen von Spiegel leisten mussten, nannten Akten- und Urkundennotizen folgende: Blut- und Fruchtzehnten, Heuern, Schillinge, Hahnen und Rauchhühner (aus jedem Haus, das einen Schornstein hatte), Eier, Maibeede, Hofgeld, Weinkaufgeld. Die Krüger mussten Kruggeld zahlen, die Schäfereibesitzer Trifthämmel und Triftlämmer liefern. Die Frohndienste waren Spann- und Handdienste. Ein Vollmeier hatte von Petri bis Michaeli wöchentlich 2 Tage - von Michaeli bis Petri wöchentlich 1 Tag = Summa jährlich 83 Tage Frohnspanndienste zu leisten. Ein Kötter dagegen war von Johanni bis Michaeli wöhentlich zu 2 Tagen und von Michaeli bis Johanni wöchentlich zu 1 Tag = Summa jährlich zu 66 Tagen Frohnhanddienste verpflichtet. Für Halbmeier und Halbkötter war somit ihr eigenes Anwesen nur mangelhaft zu bewirtschaften und sie mussten deshalb arm, sehr arm bleiben. Körbecke hatte seine Frohndienste auf dem Rittergut Übelngönne zu leisten, wohin ein direkter Weg führte. Während der Frohndienste standen die Dienstleistenden unter der Aufsicht und Gewalt besonderer Frohnvögte. Wie früher die Ritterburgen Turmverließe besaßen, so hatten die Rittergüter "Eulen", in welche Widerstrebende und Mißliebige kurzer Hand in beliebiger Dauer geworfen werden konnten. Das waren gefürchtete Aufenthaltsorte, gegen die es keinen Rechtsweg gab. Von den vorgenannten Gemeinden hatte sich Bühne nicht zur Kapitulation bewegen lassen und verfolgte sein Recht nach einigem Stillstande unablässig weiter. Die französische Revolution und die napoleonischen Kriege veränderten die Feudalverhältnisse und Standesvorrechte gewaltig. So kam der Prozess für die Gemeinde Bühne wieder in Aufnahme. Diesem schlossen sich die Gemeinden Manrode und Muddenhagen 1843 an. Da die Vergleiche von den Gemeinden Körbecke, Manrode und Muddenhagen von demselben Notar Claudius du Plat abgefasst worden waren, stimmten sie in ihrem Wortlaut überein. Die drei klagenden Gemeinden haben unter Eid ausgesagt, dass sie niemals im Besitze eines von denen von Spiegel vollzogenen Vergleichsexemplares gewesen seien. Somit wurden die jeweiligen Vergleiche als einseitige Schriftstücke angesehen und ihre Gültigkeit mangels Vollziehung der einen Vertragspartei bestritten. Dies wurde nun der Ansatzpunkt, um welchen sich die Sache fortan für die Gemeinden drehte, die sich seinerzeit verglichen hatten. Das Resultat dieser neuerlichen Prozesse war, dass den Gemeinden die Gerechtsame abermals zugesprochen wurde, den Gemeinden Manrode und Muddenhagen letztinstanzlich im Jahre 1853. Da die Exekutivgewalt zu dieser Zeit dem gesprochenen Rechte Geltung verschaffen konnte, wurde in den Jahren 1856 und 1857 ein Hauungsplan für die Pflichtwaldungen behördlich festgesetzt und auch die Gewährung bestimmter Holzdeputate an die Berechtigten reguliert und angeordnet. Hiermit kamen die Berechtigten von Bühne, Muddenhagen und Manrode kurz vor 1860 in den erstmaligen Genuß ihrer Berechtigung. Das waren etwas über 170 Jahre nach dem ersten zusprechenden Urteil. Nach diesen Erfolg der 3 Gemeinden schloß sich nun auch Körbecke der Geltendmachung der Gerechtsame wieder an und war damit prozessende Partei. Nachdem Körbecke in die Verhandlungen wieder einbezogen und der gegnerische Verjährungseinwand zurückgewiesen war, erschien die Sache insofern günstig, als Manrode und Muddenhagen bei völlig gleicher Sachlage letztinstanzlich Recht bekommen hatten. Zur Widerlegung und Entkräftung der gegnerischen Behauptungen wurden dann 3 Deputierte gewählt, welche die Sache verfechten sollten. Nach Meinung von Clemens Bremer waren sie dem verwickelten Gegenstande nicht entfernt gewachsen. Es lagen Akten von über 150 Seiten über den bisherigen Verlauf des Verfahrens mit seinen vielen Einwendungen und Gegenargumenten vor. Wie sollten sich die Deputierten aus einem juristischem Schriftstücke von solchem Umfange informieren, das sie selbst nicht einmal ordentlich zu lesen vermochten. Nachdem nun in dieser Sache eine neuerliche Verhandlung kein sehr günstiges Ergebnis für Körbecke gebracht hatte, stand ein weiterer Verhandlungstermin an. Zu diesem Zeitpunkt erhielt Clemens Bremer, der in den Jahren zuvor von 1854 bis 1857 zunächst als Verwalter für den Grafen von Bocholtz auf dessen Gütern Niederalme und Tinne bei Brilon tätig war und anschließend seine 3-jährige Dienstzeit als „königlich preußischer Soldat" in Mainz ableistete, Kenntnis von dem Sachverhalt. Seine Meinung ging nach Prüfung der Akten dahin, manche der gegnerischen Beweisführungen könnten genügend widerlegt und entkräftet, anderen gegenteilige Tatsachen von gleicher Beweiskraft entgegengestellt werden. In einem Schriftstück hat er das ausführlich darzulegen versucht. Weiterhin hat er dringend dazu geraten, einen tüchtigen Rechtsanwalt mit der Verteidigung zu betrauen und ihm die notwendigen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Diesem Vorschlag wurde nicht gefolgt, „weil weise Männer reifen Alters davon abrieten". Dies wurde damit begründet, dass die eigenen Argumente und Strategien verraten werden könnten. Die Gewalt in diesem Verfahren dürfe unter keinen Umständen aus den Händen gegeben werden. So kam was kommen musste, die Ortschaft Körbecke zog den Kürzeren in diesem Verfahren, was in einem Urteil im Jahre 1864 festgeschrieben wurde. Durch Schaden wird man klug und so erging es auch den "weisen Männern reifen Alters". Nun wollten sie einen Rechtsanwalt zulassen, der den Karren wieder aus dem Sumpfe ziehen sollte. Die Interessen Körbeckes sollte nun ein Justizrat aus Paderborn, der früher in der gleichen Sache für Manrode und Muddenhagen erfolgreich gewesen war, vertreten. Von den ehemals 3 Deputierten lebten nur noch 2, wovon der eine krank und schwächlich war. Da der andere nicht fähig war, einem Rechtsgelehrten über den bisherigen Verlauf wesentliche Informationen zukommen zu lassen, wurde Clemens Bremer als Sprecher mit nach Paderborn geschickt. Dort erfuhr man, dass nur noch der Weg einer Nichtigkeitsbeschwerde offen stünde, der jedoch mit recht einengenden Bedingungen versehen sei. Ein Rechtsanwalt beim Obertribunal zu Berlin lehnte nach Prüfung der Akten dann auch die Einlegung einer Nichtigkeitsbeschwerde ab, weil keine Aussicht auf Erfolg bestand. Somit war die Holzgerechtsame unwiderruflich verloren. Die endgültige Abwicklung des Holzprozesses dauerte bei den Gemeinden Bühne, Manrode und Muddenhagen bis gegen Ende des letzten Jahrhunderts. Seid dem ersten Urteil waren das mehr als 200 Jahre. Das war fürwahr ein langer Prozeß. Clemens Bremer schließt seine Aufzeichnungen über die Holzgerechtsame wie folgt: "Wer ist des Gedankens fähig, unsere Vorfahren hätten es ermöglichen können, den Herren von Spiegel länger als 170 Jahre Rechte und Leistungen völlig vorzuenthalten, nachdem sie durch richterliche Urteile aller Instanzen zur Leistung immer wieder für verpflichtet erklärt werden? Zweifelsohne würde man ihnen, wie der Volksmund zu sagen pflegt, kurzen Prozeß gemacht haben. Die Gemeinden Bühne, Manrode und Muddenhagen haben im Ablöseverfahren Waldparzellen für ihre Gerechtsame erhalten. Die Rückstände sind ihnen auch teilweise entschädigt. Das Braunsholzwäldchen hätte uns nach wiederholten Aussagen von Spezialkommissaren bei richtiger und tatkräftiger Vertretung nicht können verloren gehen. Das hatten wir nun verträumt und verpasst. Nun blieb uns gewissermaßen als ein bleicher Schatten ehemaliger Rechte das gelegentliche Betreten, der Genuß von des Waldes Luft und Schatten, den Kindern die Freude an einigen Waldbeeren.
Telgte im April 2009 |