Ansicht des Dorfes Körbecke nach einer Zeichnung um 1830, von F.J.Brand, Altertums-Verein Paderborn Nr.177-178

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Spinnstubenidyll um die Jahrhundertwende (um 1900) in Körbecke

aufgeschrieben von Emma Thienenkamp, geb. Götte, Paderborn

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Vorbemerkung von Kurt Bremer:  Emma Thienenkamp wurde als Emma Götte am 16.11.1887 in Schuljohanns Hause (Uhen bei der Kirche)  in Körbecke geboren. Sie heiratete in den 1920-er Jahren den Bäcker Thienenkamp in Paderborn. Sie ist am 14.02.1976 in Paderborn verstorben. Sie war eine Schwester meines Großvaters mütterlicherseits, des Ignaz Götte in Plengen Hause (Uhen im Mühlentor).  Diese nachstehende und von ihr aufgeschriebene Geschichte hatte sie meiner Mutter, ihrer Nichte, übergeben. In ihr ist so wundervoll ein Spinnstubenidyll um die Jahrhundertwende beschrieben, das zu schade ist, um in Vergessenheit zu geraten. Es verdient, der Nachwelt erhalten zu bleiben. Aus diesem Grunde habe ich es hier veröffentlicht. So lautet der Text:

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„Spinn, spinn, spinn Tochter mein  !

Morgen kommt der Freier Dein“.

 Ich glaube es noch heute zu hören, wie es von lustigen Mädchenstimmen frisch – fröhlich gesungen wurde in unserer Spinnstube daheim – allerdings dann ganz melancholisch ausklingend:

 „Mädchen spann  -  die Träne rann; nie doch kam der Freiersmann.“

 Er ist allerdings doch noch zu ihnen gekommen, doch davon ein ander mal.

Heute möchte ich einmal die Spinnstube von anno dazumal – es war kurz nach der Jahrhundertwende – in der Erinnerung lebendig werden lassen. 

Mit „Wockenbriefen“ geschmückt!

Es war eine fröhliche Gesellschaft, die sich morgens gegen 9 Uhr bei uns einfand, ein paar Cousinen, rank und schlank, und ein paar Nachbarmädchen, die zugleich Freundinnen meiner älteren Schwester waren. Stolz präsentierten alle ihre blitzenden Spinnwocken, die mit bunten Atrappen, sogenannten Wockenbriefen, geschmückt und mit leuchtenden Schleifenbändern umwunden waren.  Sie wurden allseitig bewundert und bildeten eine Zeit lang den heiteren Unterhaltungsstoff der munteren Gesellschaft, worauf sich alle im Kreise gruppierten und die Räder hurtig schnurren ließen.

Sie waren gut geschmiert, die Räder alle, aber die Plappermäuler nicht minder. Flink zupften die fleißigen Hände den feinen Flachsfaden und ebenso flink bewegten sich die nimmermüden Zungen.

Bald setzte sich auch unsere sangesfreudige Mutter mit ihrem Spinnrad in den jungen frohen Kreis und dann klangen die alten trauten Weisen durch die Stube:

„Wir sitzen so fröhlich beisammen – und haben einander so lieb……..“

„o, wie lieblich ist`s im Kreis – trauter Biederleute………“

„Was frag ich viel nach Geld und Gut, wenn ich zufrieden bin……..“

Und dergleichen mehr.

Schier unerschöpflich war dieser Liederschatz, den alle kannten. Singen war immer noch das Schönste, und jedes Lied wurde mit echter Innbrunst von Anfang bis zu Ende gesungen.

O diese schönen alten Volkslieder! Wenn sie doch auch heute wieder mehr Gemeingut würden! Man vermisste dann weder Radio noch Schlager oder Gassenhauer. 

Riesenportionen geschmorter Äpfel

Ich war noch zu jung, um aktives Mitglied der Gruppe zu sein. Aber ich durfte nach getaner Hausarbeit mich öfter zu ihnen setzen. Ich freute mich dann so recht des munteren Treibens und half im übrigen der Mutter, die Gäste zu bedienen. Da gab es ab und zu rotwangige Äpfel und Birnen anzubieten, die im Nu zwischen den blitzenden Zähnen der fleißigen Spinnerinnen verschwanden. Und wenn Mutter mit einer Riesenportion  geschmorter Äpfel hereinkam, fand sie jubelnde Abnehmer.

Zu den Mahlzeiten waren selbstverständlich alle unsere Gäste. Mutter wusste vortrefflich zu kochen. Es war ja Schlachtezeit im Winter und vom Schwein schmeckt es immer noch am besten.  Zum Nachtisch gab es dann noch einen leckeren Stärkepudding mit Himbeersaft, der alle so restlos sättigte, dass sie die Waffen streckten. Zu einer kurzen Mittagspause wurde dann frische Luft geschöpft. Bei Schneewetter gab es wohl eine kleine Schneeballschlacht in unserem Grasgarten. Dann ging es mit neuem Eifer wieder an die Arbeit. – Stunde um Stunde verrann.

 Däftiger Platenkuchen

Es wurde gesponnen, gescherzt, gelacht und gesungen, aber auch ernste Probleme gewälzt, bis der gedeckte Kaffeetisch wieder zu einer Pause einlud. Allerdings gab es keine leckeren Torten mit Buttercreme und Schlagsahne, auch keine feinen Brezel und Leckereien, wie sie heute üblich sind. Das waren für uns damals spanische Dörfer, wie der Volksmund sich derzeit ausdrückte.  Aber däftiger Platenkuchen und der übliche schmackhafte Knappkuchen luden zum Zugreifen ein und mundeten allen vortrefflich.

Auch der Nachmittag war durchaus nicht langweilig. Alle waren fleißig, denn jeder hatte sich ein Ziel gesteckt, wie viel gesponnen werden sollte. Das durfte auch durch die fröhliche Unterhaltung nicht verhindert werden. Hurtig schnurrten die Räder und flink drehten sich die Spindeln. Ab und zu schaute auch mal eine Nachbarin, die der heitere Gesang herbeigelockt hatte, um die Ecke; es wurde lang oder kurz ein Schwätzchen gehalten, und somit schwand die Zeit im Fluge.

Nach dem Abendessen, das aus handfesten Schnitten selbstgebackenen Brotes  bestand und mit leckerer Hausmacherwurst belegt war, wurde nicht mehr viel gesponnen. 

Tanzen und Pfänderspiele

Es fanden sich dann meist allerlei Bekannte der Spinnerinnen ein, weibliche und männliche. Alle wurden mit lautem Hallo begrüßt und die Räder bald an die Seite gestellt. Schon trat eine Mund- oder Ziehharmonika in Tätigkeit, und dann gab es ein lustiges Tänzchen. Zur Abwechselung setzten sich alle in die Runde, machten Pfänderspiele, fröhliches Rätselraten und dergleichen mehr. Lustige Lieder wurden gesungen und bald drehten sich die Füße wieder im Takt.

Wenn aber der Uhrzeiger die zehnte Stunde zeigte, dann war Feierabend. Wer das nicht begreifen konnte, dem wurde es durch Mutters Worte deutlich gemacht. Sie war darin unerbittlich. „Kinder es ist zehn Uhr, Zeit zu Bett. Der Morgen kommt früh.“

Dann brachen alle auf. Die Räder wurden herbeigeholt, und mit lautem wortreichen Abschied und einem herzlichen „Gute Nacht“ verschwand die ganze Gesellschaft. „Seid auf der Straße nicht so laut“, mahnte die Mutter noch. „Gute Nacht! Bis auf ein andermal“.

 

Emma Thienenkamp

(aufgeschrieben um 1925)

           

 

                                  

Telgte im Februar 2012