Ansicht des Dorfes Körbecke nach einer Zeichnung um 1830, von F.J.Brand, Altertums-Verein Paderborn Nr.177-178

 

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Körbecker Auswanderer und Auswanderungsgeschichten

   
 

 

Die Auswanderung der Rokus-Familie von Deutschland nach Amerika in 1953

 (Ergänzungen nach der Erstveröffentlichung habe ich durch ein blaues Schriftbild besonders gekennzeichnet)

 Nach dem Tagebuch von Clementine Rokus

überarbeitet von ihrem Sohn Josef W. Rokus

zusammengestellt von Kurt Bremer

Vorbemerkung von Kurt Bremer: Diese Geschichte habe ich hier ebenfalls veröffentlicht, weil der Urgroßvater des Joseph W. Rokus – Friedrich Wilhelm Rokus (geb. 1836) - aus Vosschmiddes Haus in Körbecke stammte und ein Bruder der beiden Auswanderer Johannes Anton und Bernard Rokus war. Darüber hinaus dürfte es für jedermann interessant sein, wie sich Auswanderer im vergangenen Jahrhundert nach dem 2. Weltkrieg eine neue Zukunft in einem fremden Land, dessen Sprache sie nicht einmal beherrschten, aufgebaut haben.  Josef W. Rokus ist auch der Verfasser des Berichtes „ von Körbecke nach Manhattan“, in dem er den Lebensweg des ausgewanderten Johannes Anton Rokus aus Vosschmiddes Haus nachverfolgt und aufgezeichnet hat.  Josef W. Rokus hat der nachstehenden Veröffentlichung in dieser Form zugestimmt.

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 Vorwort

 „Dank an unsere Eltern“

 Im Interesse unserer jetzigen Familie und künftiger Generationen in den Vereinigten Staaten möchten wir unseren Eltern für den Mut und für ihre wirklich sehr schwere Entscheidung, Deutschland zu verlassen und in die Vereinigten Staaten von Amerika auszuwandern, danken. Es muss wirklich eine sehr, sehr schwierige Entscheidung gewesen sein, ihre meisten persönlichen Gegenstände zu verkaufen, sich von ihren Verwandten und Freunden zu verabschieden ohne zu wissen, ob sie diese jemals wieder sehen würden, um dann in ein fremdes Land zu gehen. Sie waren bereit, sich solch einer großen Herausforderung zu stellen, weil sie davon überzeugt waren, dass eine Auswanderung in dieses Land ihrer Familie  bessere Chancen für die Zukunft bieten würde. Wir können nur vermuten, wo die Mitglieder der Familie August Rokus heute sein würden, wenn unsere Eltern in 1952 diese bedeutende Entscheidung nicht getroffen hätten. Wie auch immer, wir sind heute ganz sicher, dass es uns allen besser geht als wenn unsere Eltern sich nicht so entschieden hätten, was rückblickend aber auch ein riskantes Spiel mit der Zukunft von 4 Personen war. Wir werden immer dankbar sein. 

Ebenso möchten wir allen danken, die uns und unseren Eltern so sehr geholfen haben während der ersten Jahre, die für uns einen sehr schwierigen Übergang bedeuteten. Ein ganz besonderer Dank geht an alle Mitglieder der Kremeyer-Familie, ohne die wir niemals in dieses Land gekommen wären, und deren Unterstützung, Beratung und liebevolle Betreuung für uns unverzichtbar waren. 

Nicht zuletzt möchten wir unserer Mutter danken, dass sie auch für künftige Generationen festgehalten hat, warum und wie die Rokus-Familie aus dem Nachkriegs-Deutschland in das größte Land der Welt ausgewandert ist.

 Josef und Hans Rokus

  April 2000

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 Einleitung

Diese Aufzeichnungen über die Auswanderung der Rokus-Familie von Deutschland in die Vereinigten Staaten basieren auf meinem Tagebuch, dass ich während unseres großen Trips geführt und aufbewahrt habe. Ich habe es geschrieben, weil wir wünschten, dass unsere Kinder und deren Nachfahren erfahren, warum wir uns entschieden haben, in dieses Land zu kommen, welche Erfahrungen wir auf den langen Trip nach hier gemacht haben und was für ein großer Wendepunkt diese Entscheidung in unserem Leben gewesen ist.

Ich habe im Dezember 1982 einen Nachtrag hinzugefügt, ungefähr 30 Jahre nach dem Beginn unseres großen Abenteuers, um festzuhalten, wie sich die Dinge weiter entwickelt haben. Dies geschieht in der Hoffnung, dass irgendwer in der Zukunft diese Aufzeichnungen fortführen wird, um die Geschichte der Rokus-Familie in den Vereinigten Staaten für nachfolgende Generationen  festzuhalten.

 Die Entscheidung und die Vorbereitungen zur Auswanderung

In 1952, nach vielen Gewissensprüfungen, trafen wir eine Entscheidung, die das Leben unserer Familie für immer verändern sollte, nämlich nach Amerika auszuwandern. Zu dieser Zeit war mein Mann August Rokus Verwalter eines großen Gutes von etwa 800 Morgen in Wehrden an der Weser, das dem Baron von Metternich, einem Mitglied einer alten Adelsfamilie, gehörte. Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges in 1945 wurden viele größere Güter in kleine Siedlergehöfte geteilt und in vielen Fällen an Bauern vergeben, die ihr Eigentum im östlichen Teil des früheren Deutschlands verloren hatten, das jetzt zu Polen oder Russland gehört. Diese aus dem Osten Vertriebenen wurden jetzt wieder in Westdeutschland angesiedelt, in dem Teil Deutschlands, in dem wir lebten. Wir folgerten daraus, dass es für uns äußerst schwierig werden würde, einen eigenen Bauernhof in Deutschland aufzubauen.

Wir wurden in unserem Vorhaben, in die Vereinigten Staaten von Amerika zu gehen, stark von meiner Schwester Hetty Kremeyer und meinem Schwager Theo Kremeyer unterstützt, die vor etwa 27 Jahren eine ähnliche Entscheidung getroffen hatten und nun in Rockford, Illinois, lebten. Als sie das erste Mal von unseren Plänen hörten, waren beide begeistert und sehr froh. Unser Briefwechsel mit „unseren Amerikanern“ wurde verdoppelt und Briefe mit hunderten von Fragen, Antworten und guten Vorschlägen gingen hin und her über den großen Ozean.

 Wir vier Rokusse

                   August Rokus, geb. 24.09.1913 in Brakel, Kreis Höxter

                   Clementine Rokus, geb. Nunkesser, geb. 27.05.1912 in Gelsenkirchen

                   Josef Rokus, geb. 30.05.1942 in Höxter, Westfalen

                   Hans Peter Rokus, geb. 10.03.1945 in Wehrden (Weser), Kreis Höxter

 ließen uns also im März 1952 beim amerikanischen Konsulat in Bremen registrieren und warteten mit Ungeduld Monat für Monat auf näheren Bescheid. Unglücklicherweise verzögerte sich die Bearbeitung wegen des Umzuges des amerikanischen Konsulates von Bremen nach Hamburg. Endlich konnten wir unsere benötigten Papiere, einschließlich der Bürgschaftspapiere, ausgestellt von Mr. Omer Smith (Vizepräsident der Öl-Aufbereitungsgesellschaft in Rockford – einem Freund der Kremeyers) beim Generalkonsulat in Hamburg einreichen.

Gut ein Jahr nach unserem Antrag, am 11.06.1953, mussten wir zu einem Gesundheitscheck zum Generalkonsulat nach Hamburg, glücklicherweise wurden wir alle für kerngesund befunden. 

Unsere Überfahrt hatten wir dann mit der MS Italia für den 20.06.1953 geplant. Am 15.06., fünf Tage vor unserem Start, erhielten wir ein Telegramm mit dem Inhalt: „Alle Papiere liegen am 19.06. bereit“. Nun waren wir sehr beschäftigt, unseren Haushalt in Wehrden aufzulösen und die letzten Abschiedsbesuche bei Verwandten und Bekannten zu machen. Wir packten die Sachen, die wir mitnehmen wollten, in 15 große Holzkisten, für die Kinder nahmen wir deren Lieblingsspielzeug mit, Josefs Stabilbaukasten und seine Briefmarkensammlung. Ein besonderer Abschied galt den Gräbern unserer Eltern, Schwiegereltern und Großeltern in Höxter und Brakel (Augusts Mutter lebte noch in Brakel). Ein neues Telegramm erreichte uns am 17.06.1953 in Brakel bei Augusts Mutter. „Es gibt Probleme mit den Visa, bitte nicht abreisen“. Wir fuhren dennoch in der Hoffnung, vor Ort die Dinge noch rechtzeitig regeln zu können, in derselben Nacht mit unserem ganzen Gepäck nach Hamburg. Doch all unsere Anstrengungen, dem unentwegten Hin- und Herpendeln zwischen der Hamburg-Amerika-Linie und dem Konsulat waren vergeblich. Die Visa-Kontingente für den Monat Juni waren alle vergeben und so hatten wir keine andere Möglichkeit als auf die neuen Visa-Nummern für den Monat Juli zu warten. Was für eine Enttäuschung, zwei Tage vor der Abfahrt des Schiffes……..

 Für die anstehenden vier Wochen unfreiwilligen Urlaubs fanden wir glücklicherweise bei meinem Bruder Willi und unserer Schwägerin Erna Nunkesser, die in Hamburg wohnten, freundliche Aufnahme, und während wir am 20.06. in deren Wohnung betrübt unseren Gedanken nachhingen, weil nun die Italia ohne uns in See stach, standen Brakeler Bekannte, die mit der Stadtverwaltung Brakel gerade an diesem Tage in Hamburg waren, am Kai und winkten zu dem Schiff herüber in der Annahme, dass  wir an der Reeling standen und zurückwinkten. Durch Lautsprecher hatten die treuen anhänglichen Brakeler bekanntmachen lassen, die Familie Rokus möchte an die Reeling kommen. Und dann wurde besonders kräftig gewinkt, weil einige ganz bestimmt August Rokus gesehen haben wollten. Schön wäre es gewesen, aber leider saßen wir noch in Hamburg.

 Wir vier Enttäuschten machten nun das Beste, was wir tun konnten. Wir sahen uns all die Sehenswürdigkeiten und Schönheiten Hamburgs an. Wir machten eine Hafenrundfahrt, Spaziergänge am Alster-Ufer, besichtigten das Rathaus, den Elb-Tunnel, die Landungsbrücken und den Flughafen.

 Anfang Juli hatten wir endlich unsere Visa in den Händen. Nun begann noch einmal eine rege Betriebsamkeit wegen Festlegung unserer Kabine, Aufgabe und Verzollung des Gepäcks und vieles mehr. Unsere Abfahrt sollte mit der „MS Italia“ am 18.07.1953 ab Bremerhaven losgehen.

 Unsere Überfahrt von Bremerhaven bis New York 

kostete in derTouristenklasse für uns 4 Personen                              rd.   2.700,-- DM          

Die Kosten beim amerikanischen Konsulat betrugen                                    425,-- DM

Frachtkosten für die Kisten bis Chikago                                                         400,-- DM

Eingewechselt in Dollar bei der Hapag für Schiffsgeld, Einwande-

rungsgeld (pro Person 40.-- $) und Trinkgeld                                                 300,-- DM

(Der Dollar-Kurs war zur Zeit 1,-- US$ = 4,20 DM)

 Diese Ausgaben haben wir in Deutschland mit DM bezahlt.  Nachstehende Kosten mussten wir außerdem noch nach unserer Ankunft

In Amerika in US-$ bezahlen:

Fahrtkosten von New York bis Chikago                                                        $ 135,--

Fahrtspesen                                                                                                   $  50,--

Frachtkosten für unsere Kisten von Chikago bis Rockford                            $  60,--

Insgesamt somit rund 5.000,-- DM; eine Menge Geld zu der damaligen Zeit.     

Am 18. Julli fuhren wir 4 in Begleitung von Willi und Erna um 10.50 Uhr vom Hamburger Hauptbahnhof mit dem Sonderzug nach Bremerhaven. Während der Fahrt wurde die Pass-, Zoll- und Devisenkontrolle in sehr fairer Art und Weise durchgeführt. Um 3 Uhr am Nachmittag kamen wir in Bremerhaven an und gingen direkt an Bord.

 Das Schiff „MS Italia“ ist ein italienisches Schiff, welches von der deutschen Reederei seit März 1952 gechartert ist. Es fasst 22.000 BRT und hat Platz für 1.300 Passagiere und 450 Personen Schiffsbesatzung. Von der Schiffsbesatzung sind die 70 Personen Maschinenpersonal Italiener, die übrige Besatzung mit Kapitän Paul Thormöhlen ist deutsch. Die Italia hat deutsche Küche und deutsche Bedienung.

die Familie Rokus an Bord des Schiffes

die 4 Rokusse vor der Abfahrt   

Auf See

Nunn sitzen wir in unserer Kabine und verstauen unser Handgepäck. Schnell schreiben wir ein paar Zeilen nach Rockford, dass wir es nun geschafft hätten und nichts mehr schief gehen könne. Dann besichtigen wir vier zusammen mit Willi und Erna das Schiff und haben da viel Neues und Schönes zu bewundern.

 Dann heißt es voneinander Abschied zu nehmen und viele gute Wünsche begleiten uns. Um 5 Uhr hupt die „Italia“ ganz laut und durchdringend 3 mal. Seile und Ketten werden gelöst, alles steht an der Reeling zum letzten Abschiedswinken bereit. Die Musikkapelle spielt: „Muss ich denn, mus ich denn zum Städtelein hinaus….“ und „auf Wiedersehen, auf Wiedersehn, bleib nicht so lange fort…..“  Josef läßt zuerst seinen Tränen freien Lauf und dann erfasst auch mich das schwermütige Abschiedsgefühl und ich muß mir die Tränen abwischen. August und Hans-Peter sind nicht so sentimental sondern tapfer und standhaft, sie winken eifrig mit trockenen Augen. Die Italia dreht nun und wird von 3 Schleppern aus dem Hafen gezogen.  Nachdem wir uns für die Tischzeiten haben eintragen lassen, gehen wir zurück in unsere Kabine.

Unser Zimmersteward Paul ist gleich bekannt mit uns und freundet sich schnell mit Josef und Hans-Peter an. Wir haben eine Außenkabine für uns alleine mit 4 Betten, 2 unten und 2 oben. Josef sucht sich den besten Schlafplatz am Bullauge aus. Daher ist er auch immer der Erste, der alles Neue draußen auf dem Meer wahrnimmt.                

 Unzählige Möwen begleiten unser Schiff. Wir sehen verschiedene kleine Frachter, z.B. die „Bremen“ oder die „Weser“.  Dann entdecken wir gegen Abend die ersten Leuchtbojen, das ist ein schönes Bild. Um 7.30 Uhr sehen wir Helgoland, der Leuchtturm blinkt über das endlose Meer.                                                  

Nun geht es zum 1. Mal zum Abendessen in den Dining-Room (Ess-Zimmer). In allen Gängen, auf den Fluren und den Promenaden-Decks sind Lautsprecher angebracht und wenn es Zeit zum Essen ist, heißt es „bitte zum 1. bzw 2. Tisch Platz nehmen. Wir gehören zum 2. Tisch. Wir haben einen Tisch für uns und einen höflichen und zuvorkommenden Tischsteward, der dauernd nach unseren Wünschen fragt und sie erfüllt. Für jede Mahlzeit gibt es neue Speisekarten (in englisch und deutsch gedruckt) mit den verschiedensten und auserlesensten Sachen. Um 10.00 Uhr gehen wir zum ersten Mal auf dem Schiff zu Bett, d.h. August und Josef steigen auf der Leiter ins Bett. 

 Sonntag, 19.Juli 1953

Schon um 4.30 Uhr wachen wir auf, haben bis dahin aber einigermaßen geschlafen. Draußen ist sonniges Wetter, das Wasser ist jedoch viel bewegter als am Vortage. Wir sehen Segelschiffe, Motorschiffe und Frachter. Um 8 Uhr gehen wir zum Frühstück in den Dining-Room.

Um 9 Uhr ist in der Lounge der 1. Klasse eine katholische Messe (ein katholischer Geistlicher aus Süddeutschland und ein afrikanischer Missionar lesen jeden Morgen 2 hl. Messen).  Die Bordkapelle spielt geistige Choräle, wir singen deutsche bekannte Muttergotteslieder und „großer Gott wir loben Dich“. Der Geistliche hält eine Predigt, in welcher er den Untergang des großen Passagierdampfers „Titanic“ (im Jahre 1912) erwähnt, was uns weniger gut gefällt, da er dadurch doch nur ängstliche Gemüter noch mehr ängstigt. Ich habe mir zur Beruhigung in meinen Kopf gesetzt - die „Italia“ fährt Monat für Monat immer denselben Weg, auch im Frühjahr und im Herbst, wenn die Stürme viel gewaltiger sind, warum soll denn gerade jetzt, in der günstigsten Jahreszeit und ausgerechnet wenn wir mitfahren, etwas passieren. 

Nach dem Mittagessen gehen wir auf Deck in unsere Liegestühle. Bei schönem Sonnenschein, ruhiger See und leichtem, kühlen Wind ist dort immer der schönste Platz. Ein täglich neu gedrucktes Tagesprogramm kündigt uns die Darbietungen und sonstigen Abwechslungen an Bord der „Italia“ an.

Am Abend gegen 20.45 Uhr sehen wir in der Ferne die englische Küste mit vielen Leuchttürmen. Um 22.00 Uhr gehen die Kinder freiwillig ins Bett und wir folgen bald nach.

 Montag, 20. Juli 1953

Wir haben gut geschlafen. Gegen 8.00 Uhr legen wir im englischen Hafen Southampton an. 2 Schlepper bringen uns zum Kai. Im Hafen ist reger Betrieb. Passagiere kommen an Bord und auch sie werden von einer Musikkapelle verabschiedet. Große Kräne laden ein und aus. Gegen 11.00 Uhr ist alles zur Abfahrt bereit und wir werden wieder mit 2 Schleppern aus dem Hafen gezogen.

Nun begleiten uns wieder unzählige Möwen. Segelboote und Segelschiffe beleben das Wasser. Zum 1. Mal sehen wir Hubschrauber in nächster Nähe über uns. Im Kanal ist das Wasser sehr unruhig, die ersten Schaukeleien des Schiffes und das unangenehme Hin- und Herschwanken, wenn man auf dem Promenadendeck spazieren geht, beginnen. Ein kleiner Vorgeschmack auf die Seekrankheit…….

Abends um 8.00 Uhr sehen wir die Leuchttürme der französischen Küste und legen dann in Le Havre an.  Hier treffen wir noch auf die Spuren des letzten Krieges, viele Wracks und Trümmer. Im Hafen sehen wir wieder ein ähnliches Bild wie in Southampton. Ein- und Ausladen mit großen Kränen, mehrere Autos werden verladen, sie schweben hoch durch die Luft. Es liegt ein noch größeres Schiff als die Italia im Hafen. Es heißt „Flendre“ und ist mit Soldaten besetzt.

Am Abend ein wunderschönes Bild. Die vielen kleinen und größeren Schiffe, die im Hafen liegen, sind alle beleuchtet. Die Lichtreflexe spiegeln sich im Wasser wieder, es ist ein ganz herrlicher Abend. Fast alle Passagiere gehen noch an Deck spazieren oder stehen an der Reeling. Wir vier natürlich auch. Abends um 11 Uhr laufen wir aus. Nun geht es hinaus aufs „große Wasser“. Um 11.30 Uhr gehen wir zu Bett.

 Dienstag, 21. Juli 1953

In der Nacht haben wir nicht besonders gut geschlafen. Das Wetter ist trübe, trübselig ist auch unser Allgemeinbefinden. Josef, Hans-Peter und ich werden seekrank, wir können nur ganz wenig essen, halten uns aber noch krampfhaft aufrecht. Wir halten uns immer an Deck in der frischen Luft auf, dort fühlen wir uns am wohlsten. Gut, das dieser Tag endlich vorüber ist. Des Abends gehen wir alle schon um 8 Uhr zu Bett, nachdem wir unsere Uhren 1 Stunde zurückgestellt haben.

 Mittwoch, 22. Juli 1953 

Wir stehen alle um 7.30 Uhr auf. Wir lassen August allein zum Frühstück gehen. Wir 3 Anwärter auf die Seekrankheit (Josef, Hans-Peter und ich) gehen schnellstens an Deck in die Liegestühle.  August bringt uns Verpflegung an Deck, Tee und trockene Brötchen…. Mittags versuchen wir zum Essen zu gehen. Aber die Wohlgerüche aus der Küche ziehen uns nicht an sondern vertreiben uns vielmehr wieder auf das Deck, ohne etwas zu essen. August hält sich besser, er zwingt sich, etwas zu Mittag zu essen. Am Nachmittag fliegt ein Flugzeug sehr niedrig über unser Schiff hinweg.

Es gibt viel Abwechslung an Bord: Konzerte, Bord- und Tischtennis, Bingo, Pferderennen (ein Gesellschaftsspiel) usw. Von allem haben wir uns etwas angesehen bzw angehört. Am Abend werden die Uhren wieder eine Stunde zurückgestellt.

 Donnerstag, 23. Juli 1953

Wir fühlen uns alle sehr wohl. Wir verbringen die meiste Zeit bei schönstem Sonnen-schein an Deck.  Es geht uns allen wieder gut und auch das Essen schmeckt wieder. Heute sehen wir zum ersten Mal Delphine, die große Sprünge durch die Luft machen und dann wieder in die Wellen stürzen, sehr schön anzusehen. Diese Tiere sollen 2 bis 3 Zentner schwer werden.

Leider wird das Wasser ab 4 Uhr wieder sehr unruhig, was sich direkt auf uns auswirkt. Josef, Hans-Peter und ich fühlen uns wieder schlechter, wir können nichts mehr zu Abend essen, wir drei Seekranken haben sogar unsere Mägen unfreiwillig und völlig geleert…. und sogar der arme August, der dies alles mit ansehen muss, kann das Brechen nicht verhindern. So machen wir das Beste und einzig Richtige, was wir vier tun können, wir gehen um 8 Uhr zu Bett. Stewards und Stewardessen haben sehr viel Arbeit mit den vielen seekranken Patienten.

Zu alledem wird schlechtes Wetter vorausgesagt. Unser Bullauge wird für die Nacht von innen fest verschlossen. Das Schiff schaukelt vor-, rück- und seitwärts, es kommt mir vor wie eine Nussschale. Die Wellen schlagen über unser Bullauge hinaus, zudem ächzt die Italia in allen Fugen. Und wir in unseren Betten werden geschaukelt wie in Hängematten. Dieses ist wohl die schlechteste und unruhigste Nacht während der ganzen Überfahrt. Wir haben wenig und schlecht geschlafen.  In dieser Nacht habe ich dann mehr als einmal beteuert, dass ich eine Reise mit dem Schiff nach Deutschland so schnell nicht antreten werde, lieber sollten die Verwandten zu uns herüberkommen.  Aber Gott sei Dank ist die Seekrankheit eine schnell vorübergehende und auch schnell vergessene Krankheit und wenn man heute daran zurückdenkt, kommt es einem gar nicht mehr so recht ins Bewusstsein, wie elend man sich gefühlt hat.

Am anderen Morgen erfahren wir, dass wir Windstärke 6 – 7 hatten und gerade noch einem stärkeren Wind von 10 – 11 entkommen sind.

 Freitag, 24. Juli 1953

Es ist schöner Sonnenschein und das Wasser etwas ruhiger als in der Nacht, trotzdem aber noch starkes Schaukeln und Schwanken des Schiffes.  Ich kann nicht aufstehen, weil das Bett mit mir rauf und runter geht. Auch die Kinder bleiben in ihren Betten und spielen. August isst etwas Zwieback und Weißbrot und geht dann auf Deck und legt sich in die Sonne. Viele Liegestühle sind leer…. Die Besitzer sind seekrank….

Am Mittag krabbeln auch die Kinder und ich aus den Betten, wir gehen sogar zum Essen und dann auf das Promenadendeck. Es ist schön warm in der Sonne, das Wasser wird immer ruhiger und das Schiff schaukelt kaum noch. August, Josef und Hans-Peter spielen Bordtennis, womit sich besonders die Kinder gut amüsieren.

Das obere Deck der 1. Klasse ist von dem Deck der Touristenklasse durch ein niedriges weiß gestrichenes Eisengitter getrennt. Hans-Peter sieht das Schild daran mit der Aufschrift: „first class only“ (nur 1. Klasse) und übersetzt prompt mit „frisch gestrichen“….

Für die Erwachsenen gibt es eine interessante und nette Abwechslung und Unterhaltung mit Tontauben abschießen, die Kinder haben ein Kinderfest. Nach dem Kaffeetrinken ist eine allgemeine Übung mit Schwimmwesten. In jeder Kabine liegen Schwimmwesten, die jeder Passagier umzuschnallen hat und damit an Deck kommen muss. Jeder lernt dadurch mit den Schwimmwesten umzugehen, wenn es mal ernst werden sollte.

Das Essen am Abend schmeckt wieder gut und wir gehen danach noch an Deck spazieren. Wir erleben einen wundervollen Sonnenuntergang. Dann sitzen wir noch in der „St. Pauli Taverne“ und spielen Karten. Gegen 9.30 Uhr gehen wir zu Bett.

Samstag, 25. Juli 1953

Diese Nacht haben wir vier gut geschlafen. Das Wasser ist sehr ruhig und das Schiff schaukelt nicht mehr.  Beim Blick durch unser Bullauge sehen wir dicke Nebelwände, alles Nebel und nochmals Nebel. Um 7.30 Uhr stehen wir auf und gehen zum Kaffee trinken. Anschließend gehen wir auf Deck spazieren. Der Nebel wirkt recht unheimlich, wir haben überhaupt keine Sicht und fortwährend dringen die lang gezogenen Töne des Nebelhorns durch Mark und Bein. Mitunter verschwindet der Nebel plötzlich für kurze Zeit, die Sonne ringt sich durch, im nächsten Augenblick verschwindet sie schon wieder und dichte Nebelwände hüllen uns und die Italia wieder ein.

Wir halten uns die meiste Zeit im Rauchsalon oder Wintergarten auf, hören Musik, unterhalten uns mit den anderen Fahrgästen oder spielen Karten. Am Nachmittag spielen die Kinder Bordtennis. Später besichtigen wir vier eingehend das ganze Schiff und besonders auch die Kommandobrücke. 

Am Abend ist großes Abschiedsessen. Der Kapitän geht mit seinem ganzen Stab und Musik durch den Speisesaal, Abschiedslieder werden gespielt und gesungen. Es ist ein besonders festliches Dinner und zum Schluß machen die Stewards eine Polonaise mit Eisbomben durch den Speisesaal. Nachdem die Kinder zu Bett gegangen sind, gehen August und ich zum Tanzen. Es ist ein schöner und gemütlicher Abend.

 Sonntag, 26. Juli 1953

Der dichte Nebel vom Tag zuvor ist verschwunden, aber dennoch haben wir keine klare Sicht. Das Wasser ist ruhig und unser Frühstück um 8 Uhr schmeckt uns. Danach gehen wir um 9 Uhr in die Lounge zur heiligen Messe. Anschließend machen wir einen Spaziergang auf dem Promenadendeck und hören dabei Bordmusik.  Es ist sehr warm geworden, am Mittag 20° C im Schatten. Wir sehen die Küste von Neufundland und einige Schiffe. Am Nachmittag gehen wir wieder an Deck. Wir unterhalten uns mit verschiedenen Fahrgästen, Josef und Hans-Peter spielen Bordtennis. Von 5 – 6 Uhr hören wir uns ein schönes Abschiedskonzert im Wintergarten an.

Wir merken, dass wir uns dem Festland nähern, denn wir sehen Schiffe und Flugzeuge. Die Passagiere, die in Kanada an Land gehen, sind eifrig um ihr Gepäck bemüht, sie haben schon Landestimmung und stecken uns, die wir noch ca 2 Tage Zeit haben, unwillkürlich an. Gegen 10 Uhr gehen wir zu Bett.

 Montag, 27. Juli 1953

Wir wachen um 7 Uhr auf und erleben einen herrlichen Sonnenaufgang. Das Wasser ist sehr ruhig, aber unruhig sind fast alle Passagiere. Die meisten stehen an der Reeling, um nach 6 Tagen mal wieder Land zu sehen. Gegen 12 Uhr ist die Küste von Kanada in Sicht. Wir gehen zur Abwechslung mal wieder ins Kino. Um 1 Uhr wird in Halifax angelegt. Ungefähr 120 Personen gehen von Bord. Es ist trübes Wetter und wenig Betrieb im Hafen. Es fällt uns auf,  dass in unser Schiff noch sehr viel eingeladen wird, obwohl wir doch in 2 Tagen unser Ziel erreicht haben werden.  Wir haben viel Zeit im Hafen und machen verschiedene Aufnahmen.  Des Nachmittags um 5 Uhr startet die Weiterfahrt. Wir verlieren die kanadische Küste mehr und mehr aus den Augen und nun geht es mit erwartungsvollen Gefühlen dem Ziel New York entgegen.

 Dienstag, 28. Juli 1953

Wir vier stehen schon um 6.30 Uhr auf, August, Josef und ich empfangen die heilige Kommunion. Nach dem Frühstück gehen wir an Deck. Schöner warmer Sonnenschein wechselt mit zeitweise dichtem Nebel. Überall herrscht Landestimmung. Wir packen unsere Koffer, die Stewards schleppen Gepäck auf Gepäck in den Kofferraum. Nach dem Mittagessen gehen wir an Deck.  Wir sehen mehrere Schiffe, auch Walfische begleiten unser Schiff. Der Tag vergeht im Nu. Wir gehen um 9.30 Uhr zu Bett.

 Mittwoch, 29. Juli 1953

Der ereignisreiche und bedeutungsvolle Tag unserer Ankunft in New York ist angebrochen. Wir alle stehen schon um 5.30 Uhr auf und sehen durch unser Kabinenfenster um 5.45 Uhr einen Lotsen an Bord steigen. Mehrere Schiffe und Leuchttürme kommen in Sicht, Bojen tauchen auf und Flugzeuge sind über uns. Um 6.45 Uhr gehen wir zum Frühstück. Wir erhalten ein Programm, in welchem uns die genauen Hinweise und Richtlinien für die Abfertigungsvorgänge mitgeteilt werden.                                                                               

Plötzlich wird im Dining-Room alles lebendig und jeder läuft zu den Bullaugen. Wir sehen nämlich die große Freiheitsstatue von New York.

Um 7.30 Uhr werden mit einem Boot 30 Kontrollbeamte (amerikanische Einwanderungsbehörde) an Bord gebracht. Um 8 Uhr legt die „Italia“ in New York Pier 95 North River an.

Auf dem Schiff beginnt nun die Passkontrolle. Zunächst müssen wir Schlange stehen, denn die Prüfung der Visen und all der anderen Papiere ist sehr genau und langwierig. Auf die Frage des amerikanischen Beamten: „you are Communist“ (bist du Kommunist) antworten wir schnell und entrüstet: „oh, No“ (oh nein). Während unserer Passkontrolle wird gerade unser Name durch den Lautsprecher aufgerufen, da Post aus Rockford für uns aufs Schiff gekommen ist. Nach der Abfertigung nehmen wir den Brief in Empfang, in dem unsere lieben und stets um uns besorgten Angehörigen uns herzlich willkommen heißen in dem neuen Land und uns nochmals genaueste Instruktionen für unsere Weiterfahrt geben.

 Unser Weg in Amerika

Gegen 10 Uhr verlassen wir das Schiff. Wir sind nun in einer großen Halle, wo die Zollkontrolle vorgenommen wird. Bei den Buchstaben R finden wir unsere Koffer und Kisten, insgesamt 10 Stück. Auch nimmt sich der von Familie Kremeyer beauftragte Agent von Lindstrom sofort unserer an. Er händigt uns 50 $ Bargeld aus. Wir begeben uns dann mit unserem Gepäckabschnitt zu dem Inspektor am Zolltisch. Dieser beauftragt einen Zollbeamten, unser Gepäck zu untersuchen. Wir und auch alle anderen Passagiere sind etwas nervös. Überall werden Kisten und Koffer geöffnet und untersucht. Ob wohl etwas gefunden wird, was zollpflichtig ist? Aber auch diese bangen Minuten gehen vorüber, alles ist bei uns in bester Ordnung. Wir bekommen einen kleinen Slip auf jedes Gepäckstück geklebt und können nun die Halle verlassen. Unser Agent und die Gepäckträger kümmern sich um unser Gepäck. Wir gehen zu dem bereits für uns bereitstehenden Bus und fahren um 12.30 Uhr vom New Yorker Hafen zum Bahnhof Jersey. Unser Zug fährt erst des Abends um 7.30 Uhr. Ein Telegramm an Kremeyers, das unsere Ankunft in Chikago am nächsten Nachmittag ankündigt, wird von unserem Agenten aufgegeben.

Der Zug hat nur Polsterklasse und jeder richtet es sich so bequem ein wie es eben möglich ist, da wir ja eine Nacht im Zug verbringen müssen. Dann endlich beginnt der Zug zu rollen. Wir sehen New York in hellstem Licht und in den buntesten Farben erleuchtet. Dann fahren wir in die dunkle Nacht hinein. So schön und bequem die Plätze im Zug zwar zum Sitzen sind, aber darauf zu schlafen, das geht weniger gut. Jeder versucht etwas zu schlafen, aber es gelingt schlecht. Auch wird es in der Nacht kühl im Zug. Wir sind froh als diese Nacht vorüber ist.    

Donnerstag, 30. Juli 1953

Heute, ja heute gibt es ein Wiedersehen mit unseren lieben Verwandten nach 18 Jahren……

Aber zunächst müssen wir noch im Zug geduldig aushalten, der uns aber immer näher nach Chikago bringt. Schwarze Kellner bringen Kaffee und belegte Brote durch den Zug. Nun kann man sich mit dem Zugpersonal nur noch in englisch verständigen. Hans-Peter verfolgt aufmerksam die „Schwarzen“. Dann schmiegt er sich eng an mich und fragt ganz leise „Mama, sind Tante Hetty und Onkel Theo in Rockford auch Schwarze?“ Lachend können wir ihn beruhigen, dass beide genau so aussehen wie wir. Der arme Zugbeamte wird immer wieder von uns mit der Frage geplagt: „wann sind wir denn endlich in Chikago?“ Im Speisewagen machen wir eine nette Bekanntschaft mit einer Dame und ihrer elfjährigen Tochter. Das Mädel ist ganz begeistert von uns „Ausländern“ und freut sich riesig, dass wir uns schon so gut mit ihr in englisch verständigen können. Sie schenkt Josef und Hans-Peter amerikanische Komik-Bücher, erzählt von der Schule und gibt ihre Adresse an, damit die Kinder ihr mal schreiben könnten. Endlich, des Abends um 6.30 Uhr läuft unser Zug in Chikago ein.

Direkt vor unserer Abteiltür stehen Hetty und Mary, so dass wir uns beim Aussteigen sofort in die Arme fallen. Unten in der Bahnhofshalle erwarten uns Theo und Nancy. Freudentränen stehen uns in den Augen. Nicht genug können wir uns gegenseitig immer wieder anschauen. August, Josef und Hans-Peter sehen „unsere Amerikaner“ zum ersten Mal. Hetty, Theo, Mary und Wilma waren 1935 zuletzt zu Besuch in Deutschland. Damals war Mary noch ein kleines Mädel von 5 Jahren – (Wilma war 3 Jahre alt) – und nun ist sie bereits wohlgestellte Lehrerin und glückliche Gattin. Nancy hatten wir uns mit ihren 12 Jahren noch als kleineres Mädel vorgestellt. Wir sind nun ganz überrascht, ein junges Fräulein vor uns zu haben.  

Hetty, unsere beiden Jungens und ich steigen in das Auto von Josef Grewe, der auch zu dem Empfangskomitee gehört. Josef Grewe war vor einem Jahr in die USA ausgewandert. August und die übrige Familie Kremeyer besteigen Theos Wagen und nun geht es durch die verkehrsreichen Straßen von Chikago in Richtung Rockford. Hetty und ich halten uns immer wieder bei den Händen und wissen gar nicht, was wir uns zuerst erzählen sollen. Wir können es beide noch nicht fassen, dass wir tatsächlich wieder zusammen sind. Hetty betrachtet immer wieder Josef und Hans-Peter, die sie nun mit ihren 8 bzw 11 Jahren das erste Mal sieht.

Nach 2 ½  stündiger Autofahrt landen wir in Rockford. Vor Kremeyers Haustür steht ein großer Blumenstrauß als Willkommensgruß von Familie Schöning.

Nun sind wir bei Hetty und Theo im Haus und alle sind sehr um uns besorgt, und wir selbst fühlen uns recht geborgen. In den nächsten Tagen folgt Besuch auf Besuch von eingewanderten Deutschen, darunter auch viele aus Höxter.  Wir selbst sind fast jeden Abend bei einer anderen Familie eingeladen.

Die Stadt Rockford mit rund 100.000 Einwohnern macht einen sehr freundlichen, sauberen und gepflegten Eindruck. Fast an allen Straßen – mit Ausnahme des Geschäfts-Zentrums – stehen an beiden Seiten des Bürgersteiges Bäume und jedes Haus hat vor und neben dem Haus schöne grüne Rasenflächen. Der „Rock-River“ (Fluß) fließt mitten durch die Stadt und außerhalb der Stadt  liegen die weiten Felder der Farmen, harmonisch unterbrochen durch kleinere Waldungen und öffentliche Parks, wo im Sommer die ganze Familie oft mit dem Auto hinausfährt, um Golf zu spielen und Picknic im Freien zu machen. Turn- und Spielgeräte für die Kinder sind ebenso vorhanden wie Feuerstellen, um Würstchen am Spieß zu braten usw.

Sofort am ersten Sonntag fahren wir mit Familie Kremeyer nach Wedron (2 ½ Stunden von Rockford), wo eine Tante von uns (sie ist die Schwester von Augusts Mutter) bereits über 40 Jahre als Ordensschwester im Kloster lebt. Am zweiten Sonntag geht es nach Madison. Wilma, die 2. Tochter von Kremeyers macht dort an diesem Tage ihr Examen als Nurse. Dann lernen wir auch noch den Lake Geneva (See Genf) kennen, wo bei der gegenwärtigen großen Hitze reger Badebetrieb herrscht. Auch machen wir in zwei verschiedenen Parks mit Kremeyers und anderen Bekannten gemütliche Picknics. Also viele neue und schöne Eindrücke für uns vier Einwanderer.

Am 8. August besucht uns ein Reporter von der Rockforder Zeitung, und am nächsten Tag erscheint ein großes Bild von uns mit einem langen Artikel dazu in der Zeitung und am 2. Tag unseres Hierseins besuchen uns Mr. Und Mrs. Omer Smith (unsere Bürgen), die wir nun nach öfterem Schriftwechsel von Deutschland aus persönlich kennen lernen. Bereits nach 2 weiteren Tagen holt uns Mr. Smith mit dem Wagen ab und fährt mit uns außerhalb Rockford`s durch das große Farmgebiet zur „Dells-Farm, 500 acre gross (ca 800 Morgen-K.B.), wo wir unser erstes Zuhause in den USA haben werden.  Die Farm liegt 7 Meilen von der Stadt Rockford entfernt. Alles ist hier ganz modern und neuzeitlich eingerichtet. Der neue Kuhstall – er wurde erst fertig als wir schon hier waren – mit ca 40 Milchkühen hat elektrische Melkmaschinen, elektrisches Ausmisten und einen elektrischen Milchkühler-Tank. Sogar ein Radio befindet sich im Kuhstall….

Es wird auf der Farm in der Hauptsache Mais angebaut, ferner Hafer, Klee und Luzern für den Eigenbedarf. Ein kleiner Teil Mais wird zum Einsilieren in den großen weithin sichtbaren Siloturm gebracht. Der Arbeitsgang ist folgender: Eine Erntemaschine mäht und häckselt beim Fahren auf dem Felde den Mais und bläst alles auf einen 2. daneben oder dahinter fahrenden Wagen, der mit dieser Ladung zum Hochsilo fährt. Die Hauptmaisernte setzt etwa im Oktober ein. Der „Mais-Picker“ pickt die Kolben von den Stengeln, die auf den dahinter fahrenden Wagen fallen. Von diesem Wagen aus wird dann der Mais mit einem Höhenförderer in die Scheunen befördert. Diese Scheunen bestehen hier bei uns aus Wellbllech, das durchlöchert und daher sehr luftig ist. Die stehengebliebenen Stengel werden mit einer Zerreißmaschine zerkleinert und untergepflügt.  Durch die – im Vergleich zur deutschen Landwirtschaft – sehr einseitige Bewirtschaftung und durch die vielen Maschinen ist alles viel einfacher, bequemer und leichter. Auf der Farm hier gibt es nur Rindvieh, keine Pferde und keine Schweine.

Wir haben eine schöne gemütliche Wohnung. Es ist ein Einfamilienhaus mit 7 Räumen. Küche, Esszimmer, Wohnzimmer und zwei Schlafzimmer können wir sofort mit unseren eigenen Möbeln einrichten. Mir als Hausfrau gefällt vor allem das schöne Badezimmer, die Heizung für das ganze Haus, der elektrische Herd, der elektrische Eisschrank und die elektrische Waschmaschine. Im Nu haben wir unsere Schränke, Schubladen und auch Betten mit unseren mitgebrachten Sachen wie Daunen-Steppdecken, Feder-Kopfkissen (die Feder-Oberbetten ruhen unbenutzt und gut eingemottet in einer großen Kiste – wir schwitzen hier schon, wenn wir sie nur sehen…), Wäsche, Porzellan, Glas und Silberbestecke ausgefüllt. Heimatbilder und Fotografien von lieben Angehörigen schmücken die Wände. So fühlen wir uns bald ganz „wie zu Hause“ und das Einleben wird uns vieren nicht allzu schwer fallen, da die Leute hier uns gegenüber sehr hilfsbereit und immer darauf bedacht sind, uns alles das zu sagen und zu erklären, was hier anders ist als in Deutschland.

Das Schönste und Beste bei allem ist aber, dass wir unsere lieben Angehörigen-Familie Kremeyer so in unserer Nähe haben. Ihre Liebe und Hilfsbereitschaft zu uns vier Eingewanderten ist einfach unbeschreiblich. Mit Rat und Tat und ihrer langjährigen Erfahrung in all den uns noch unbekannten Dingen stehen sie uns immer und immer wieder zur Seite. Ohne sie hätten wir uns verlassen gefühlt. Jetzt aber sind wir so oft es eben geht mit ihnen zusammen und es vergeht im Anfang unseres Hierseins kein Tag, an dem wir nicht miteinander telefonieren. Besonders wohltuend empfinden wir immer wieder unsere Zugehörigkeit und Verbundenheit mit unserer deutschen Heimat, wenn wir in der Kirche die heilige Messe anhören. Die überall in der ganzen Welt in gleicher Weise gefeierte katholische Messe lässt uns oft vergessen, dass das große weite Meer zwischen uns und unserer Heimat liegt. Wir hören dieselben lateinischen Messgesänge und Choräle – ganz „wie bei uns“.  

                        Die 4 Rokusse um 1965

Und nun will ich zum Abschluß der Beschreibung unserer Auswanderung in die USA kommen. Wir haben hier einen guten Anfang gemacht und danken Gott von ganzem Herzen, dass er bei all unserem Beginnen so gut geholfen und uns gesund erhalten hat.

Wir bitten unseren Herrgott, dass er auch weiterhin bei uns bleiben wird, uns zusammen gesund lassen und unsere Arbeit jeden Tag segnen und uns in eine gute Zukunft führen möge.

                                                                                                              A l l e s   f ü r   u n d   m i t   G o t t !

                                     

  

Nachbetrachtung von Clementine Rokus  -  30 Jahre später

Es ist jetzt Ende 1982 und etwa  30 Jahre sind vergangen seit wir 1953 in dieses Land gekommen sind. Ich möchte nun kurz berichten, was sich in den 30 Jahren in der Rokus-Familie ereignet hat.

Als die beiden Jungen die Schule in Winnebago ab Herbst 1953 besuchten, konnte keiner von beiden auch nur ein Wort Englisch sprechen oder verstehen. Josef wurde in die 6. Klasse und Hans-Peter in die 3. Klasse eingeschult. Am Anfang war es für uns Eltern sehr hart, die Jungen jeden Morgen mit dem Bus in Richtung Schule fahren zu sehen, da wir wussten, dass sie sich weder mit den Lehrern noch mit ihren Mitschülern unterhalten konnten. Aber wir werden uns immer dankbar erinnern, wie sehr hilfreich jeder von ihnen war. Besonders die Lehrer nahmen sich zusätzlich Zeit, um den Jungen beim Lernen ihrer neuen Sprache zu helfen, sie sandten z. B. spezielle Bücher zum Lernen der englischen Sprache. Auch die Mitschüler waren sehr freundlich und hilfreich zu ihnen.  Dies führte dazu, dass die Lehrer überrascht waren, wie schnell beide die Sprache lernten, nicht zuletzt wegen der vielen und speziellen Hilfe, die sie von allen erhalten hatten.

Die Rokus Familie am 27.05.2007 beim 95 Geburtstag von Clementine Rokus 
vorn in der Mitte Clementine, links von ihr ihr Sohn Hans Peter und rechts Sohn Josef Wilhelm

Nach 2 Jahren entschieden wir uns, die Farm zu verlassen.  Die harte Arbeit machte uns nichts aus, ebenso wenig die vielen Stunden und das geringe Entgelt oder auch die Arbeit an vielen Sonn- oder Feiertagen.  Dagegen beunruhigte uns, dass die Jungen sehr viel auf der Farm mithelfen mussten, so dass die Gefahr einer nicht so guten Schulbildung bestand; wir wollten aber sicher stellen, dass sie eine gute Erziehung  und Ausbildung und somit später ein besseres Leben haben würden.

Nachdem wir die Farm verlassen hatten, begann August eine neue Arbeit als ein Kundendiensttechniker für Ölbrenner bei der Smith-Öl-Gesellschaft durch die Unterstützung von Mr. Omer Smith. Zur selben Zeit bekam ich eine gute Position als Buchhalterin  im Rechnungsbüro des St. Anthony-Hospitals in Rockford. Sobald Josef und Hans-Peter alt genug waren, suchten sie sich Arbeit nach der Schule und während der Ferien mit Rasenmähen, Zeitschriften austragen und in Josefs Falle durch Reparieren von Hi-Fi Geräten und Fernseher für einen örtlichen TV-Laden. Wir zogen somit alle zusammen an einem Strick, wie man so sagt.

Die Rokus-Familie erlebte in 1959 einen ganz besonderen Tag, als wir alle die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielten. Hierfür hatten wir eine Menge zu lernen für den dazugehörigen Test. Nun konnten wir uns „Amerikaner“ nennen.

Nach dem Absolvieren der High School bekamen beide Jungen Stipendien und da beide exzellente Studenten waren, erreichten sie gute Hochschulabschlüsse. August und ich, wir freuten uns über ihre guten Studienergebnisse und wir waren sehr stolz auf sie.           

August und ich arbeiteten weiterhin sehr hart, obgleich wir auch unsere „Hochs und Tiefs“ hatten.  August hatte eine Operation in der Mayo Klinik in Rochester, Minnesota, wegen einer verstopften Arterie und später zwei weitere Operationen an seinem Knie. Dennoch nahmen die Dinge einen guten Verlauf, insbesondere, als es uns möglich war, unser eigenes Haus zu bauen und einige interessante Urlaube zu machen, die uns halfen, mehr über unsere neue Heimat zu erfahren. Auch machten wir drei Reisen zurück in unsere alte Heimat Deutschland.

Zwei besondere Höhepunkte in unserem Leben waren die Hochzeiten von Josef mit Diane Swenson in 1965 und Hans Peter mit Kathy Provasi in 1968. Hierdurch wurde unsere Familie um 2 Töchter größer. Wir fühlten sehr schnell, dass wir sie als unsere Töchter bezeichnen konnten, weil wir uns ganz ausgezeichnet verstanden haben. Weitere Höhepunkte in unserem Leben waren die Geburten unserer Enkelkinder. Hans und Kathy bekamen Greg in 1971 und Mary in 1972 während Josef und Diane ihr Sohn Brian in 1977 geboren wurde. Wir sind sehr glücklich, diese große Familie mit 9 Personen zu haben.

Wir haben unsere Entscheidung, in die Vereinigten Staaten auszuwandern, niemals bedauert. Wir hatten sehr viel Glück, so viele Freunde hier zu haben und wir hätten das alles nicht erreichen können ohne ihre Freundschaft und Unterstützung auf unserem Weg in den Vereinigten Staaten. So hatten wir die Unterstützung und den Zuspruch von all unseren Freunden, als August in 1976 am offenen Herzen operiert werden musste und wir danken Gott, dass er sich von dieser schweren Operation so gut erholt hat.

August und Ich gingen 1977 in den Ruhestand und wir begannen, unsere „goldenen Jahre“ zu genießen. Wir reisten noch sehr gern und besonders freuten wir uns, wenn wir mit unseren Kindern und Enkelkindern zusammen waren. Im Winter verbrachten wir sehr oft einige Monate in Florida.

Wir werden niemals unser Heimatland Deutschland vergessen, aber wir sind auch sehr dankbar, dass wir heute die Vereinigten Staaten von Amerika durch unsere damalige  Entscheidung unsere neue und zweite Heimat nennen können.  

 

Wer waren die Rokus-Auswanderer und wie erging es ihnen weiter

(Ergänzung von Kurt Bremer nach Angaben von Josef W. Rokus)

Sicherlich möchte jeder Leser dieses Auswanderungsberichtes mehr über die 4 Auswanderer und ihren weiteren Lebensweg erfahren. Insbesondere dürfte dies die Leser aus dem Kreis Höxter, der Heimat der Auswanderer,  interessieren. Hierzu habe ich von Josef W.  Rokus die nachstehenden Informationen erhalten.

Die Wurzeln der Rokus-Familie liegen in Manrode. Durch Heirat in 1788 kam der Name nach Körbecke. Der 1836 in Körbecke geborene Friedrich Wilhelm Rokus brachte den Namen Rokus durch seine Heirat in 1863 mit der in Brakel lebenden Witwe Christina Schlüter nach dort. Nach deren Tod heiratete er am 24.08.1866 die Anna Helena Lohren aus Beverungen, deren Vater aus Uhen Haus in Körbecke stammte. Aus dieser zweiten Ehe  stammt die Linie  der ausgewanderten Familie Rokus, von der einige Lebensdaten nachstehend genannt sind.

 August Rokus begann nach der Beendigung der Volksschule in Brakel eine landwirtschaftliche Ausbildung, während der er auch die Landwirtschaftsschule in Brakel von 1929 bis 1931 besuchte. Seine Lehrlingszeit verbrachte er auf den Rittergütern Abbenburg und Steinbeck.  Von 1934 – 1945 war er, der wegen einer Sehbehinderung nicht zum Militärdienst eingezogen wurde, als Verwalter auf Höfen/Gütern in Albrock, Corvey und Vinsebeck tätig. Ab Februar 1945 bis zur Auswanderung als Gutsverwalter auf dem Gut Wehrden des Baron von Metternich. August Rokus starb am 18.11.1990 im Memorial Hospital in Rockford, Illinois, an einem akuten Herzinfarkt.

 Clementine Rokus, geb. Nunkesser, machte nach der Mittleren Reife eine Banklehre in Gelsenkirchen und zog mit ihren Eltern 1932 nach Höxter in die Rodewiekstraße 9. Von 1934 bis zur Geburt ihres Sohnes Josef Wilhelm war sie als Gutssekretärin in Corvey beschäftigt. Sie lebt heute mit 95 Jahren in Woodstock, Illinois, in einem Seniorenheim. (gestorben am 17.08.2010)

 Josef Wilhelm Rokus lebte vom 01.02.1945 bis zur Auswanderung mit seinen Eltern in Wehrden, besuchte die dortige Volkschule und für 1 Jahr das König-Wilhelm-Gymnasium in Höxter. Nach der Auswanderung schloß er 1960 die „High School“ in Rockford, Illinois, erfolgreich ab und ebenso sein Universitätsstudium zum Elektroingenieur an der Universität in Urbana, Illinois. Seine 2-jährige Militärdienstzeit leistete er von 1966 bis 1968 unter anderem mit einem Einsatz im Vietnamkrieg ab. Danach studierte er Betriebswirtschaftslehre und war von 1970 bis 1984 und dann bis 1999 bei verschiedenen Firmen in verschiedenen Positionen als Abteilungs-Controller,   Finanzdirektor bis hin zum Vizepräsidenten tätig. Von da ab bis heute arbeitet er als selbständiger Unternehmensberater. Seit seinem Eintritt in den Ruhestand 2003 nimmt er verschiedene Forschungsaufgaben für den US-National-Park-Service wahr und betätigt sich als freiberuflicher Autor. Er lebt heute mit seiner Frau Diane in Locust Grove, Virginia,  in der Nähe von Fredericksburg.

 Hans Peter Rokus schloß die „High School“ in Rockford ebenfalls erfolgreich ab. Ebenso sein Studium zum Lehrer an einer Höheren Schule. Danach unterrichtete er von 1967 bis zum Eintritt in den Ruhestand  in 2002  an der katholischen „High School“ in Woodstock, Illinois. Außerdem betätigte er sich als Coach für Tennis, Baseball und Basketball. Seit 1998 ist er als Diakon an der katholischen St. Mary`s Kirche in Woodstock ordiniert.  Er lebt mit seiner Frau  Kathy in Woodstock, Illinois. 

 August und Clementine Rokus hatten sich zur Auswanderung entschlossen, um sich und insbesondere ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen als sie ihrer Meinung nach in Deutschland zu erreichen gewesen wäre.  Rückblickend haben sie zur damaligen Zeit eine gute Entscheidung getroffen.

Telgte im Juli 2011